Zur Ausstellung ANTIPODE vom BBK Nürnberg

September 2014 | von Helge Wütscher, Vorstand BBK, Nürnberg 14/09/2014

„Was verkünden denn jene, die meinen, es gebe Antipoden, die uns die Füße zukehren? Ja, wer ist denn so töricht wie der, der glaubt, es gebe Menschen, deren Füße über den Köpfen sind? Oder wo das, was bei uns herunter zeigt, nach oben hängt? Wo Pflanzen und Bäume nach unten wachsen? Wo Regen und Schnee und Hagel zur Erde nach oben fallen?”
Lucius Caecilius Firmianus (Firmianus, qui et Lactantius, so der Name bei Hieronymus, De viris illustribus 80; dt. Namensform meist Laktanz; * um 250; † um 320)

Indem Bernd Telle seine fotografierten Motive auf den Kopf stellt, macht er doch zunächst nichts anderes als die optischen Prozesse zu wiederholen, die unser Gehirn ständig zurechtrückt. Schließlich wird das auf unsere Netzhaut projizierte Abbild der Außenwelt durch die Linse unseres Auges ebenfalls auf den Kopf gestellt.

Die erneute Umdrehung bewirkt für uns Betrachter eine eigenartige, Neugierde weckende Distanzierung. Ohne direkten Realitätsbezug entdecken wir die poetische Kraft der fotografierten Objekte, sehen sie wie „zum ersten Mal“ und wir betrachten die Oberflächen und Details mit „anderen Augen“. Wir entdecken die malerischen und grafischen Qualitäten einzelner Flächen, ihrer Zuordnung zueinander und ihren Rhythmus, ohne sofort die dahinterliegende Struktur entschlüsseln zu müssen oder gar zu können.

Die Bezeichnung Antipode für die Werkreihe, aus der uns Bernd Telle 5 Arbeiten zeigt, eröffnet eine weitere Ebene. Antipoden sind im klassischen griechischen Sinne die Gegenfüßer auf der anderen Seite der Erdkugel, unsere Spiegelmenschen. Die Fotografien Bernd Telles, die alle dem kulturellen Kontext entnommen sind, können wir als Spiegelbilder sehen und lesen. Sie zeigen uns Augenblicke des kurzen Innehaltens, des zärtlichen Abschiednehmens oder den letzten Blick zurück vor dem sehr wahrscheinlichen weiteren Verfall oder einer wesentlichen Veränderung. Denn was Bernd Telle fotografiert hat, sind Momente auf einem langen Weg des Werdens und Vergehens kultureller Prozesse, näher dem Vergehen, den Höhepunkt hinter sich lassend. Bernd Telle zeigt uns Spiegelbilder des Lebens, die nicht nur als memento mori wirken, sondern mit ihrer behutsam erfassten Sinnlichkeit – auch am unwirtlichen Ort – beeindrucken.