Zur Ausstellung ZEITRAUSCHEN

September 2014 | von Barbara Leicht M.A. | Kunstmuseum Erlangen

Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung „Bernd Telle – Zeitrauschen“ am 26. September 2014 im Galeriehaus Nord e.V.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Bewusstsein der Deutschen in Sachen Energieverbrauch und Umwelt gewaltig weiterentwickelt. Der Begriff Nachhaltigkeit ist kein Lippenbekenntnis mehr. Es wird uns jeden Tag klarer, welche Konsequenzen wir durch den von Industrie und unserem Wohlstand verursachten Mehrverbrauch an Energie tragen müssen. Die Energiegewinnung aus Wasser- und Windkraft sowie der Solarstrom scheint unsere kleine Rettung zu sein. Deutschland packt so richtig an: Die Kanzlerin hat nach dem Tsunami und dem Super GAU von Fukishima 2011 in für sie ungewöhnlich halsbrecherischem Tempo eines gestreckten Umsetzungsgalopps das bisher wohl größte Projekt der Nation angestoßen: Die Energiewende.

Abschaltung und Rückbau der acht deutschen Atommeiler und Ersetzen der Stromgewinnung durch Renewable Energies. Für diesen Sprint und all das, was dafür getan wird, werden wir neugierig, neidisch und spöttisch von der ganzen Welt beäugt.
Schön und gut. Zum einen gibt es weltweit etwa 430 Kernkraftwerke, davon werden nur acht in Deutschland betrieben. Diese Zahl möge einem, ob man nun Befürworter oder Gegner dieser Technologie ist, zu denken geben. Zum anderen wird der Energieverbrauch kaum sinken. Das heißt mit hohem finanziellen Aufwand, den letztlich der Endverbraucher bezahlen muss, wird Atomenergie nun durch Wasser-und Windkraft und schon seit Längerem durch Solar-und Photovoltaiktechnologie subsituiert. Die Folge für uns alle ist eine kolossale Veränderung vieler Landschaften, quer durch die Republik, mit noch nicht absehbaren Folgen für die Menschen und die Umwelt. Der Widerstand regt sich, denn vielerorts sollen die geplanten Starkstromtrassen über dicht bewohnte Areale laufen. Dafür haben die wenigsten Bürger Verständnis.
Bernd Telle hat sich eine Mikrolandschaft aus dieser zwar zukunftsweisenden, jedoch nicht unstrittigen Energiewende ausgesucht. Bzw. hat er deren Veränderung in direkter Nähe zu seinem früheren Atelier auf dem Triumph-Adler-Areal beobachten können.
Bis Mai 2012 hatte Telle damals Ausblick auf ein schönes patiniertes Dach aus den 40er/ 50er Jahren des 20. Jh., eine typische Form, die man in unseren Breiten häufiger sieht. Ein schönes Detail waren die Gaupen, die sich dezent in die Deckung einschoben, um dem Dachboden zu ein wenig Licht zu verhelfen. Leider hat sich diese Situation vollkommen verändert. Gebäudebesitzer müssen nun für bestehenden Wohnraum die Energieeinsparverordnung umsetzen. Daher werden Dachböden gedämmt und Heizungen effizienter gemacht, denn etwa 80 % der Anlagen waren deutlich älter als 30 Jahre.
Für Solarthermie- und Solarstromanlagen gibt es günstige Kredite und die staatliche Einspeisevergütung. Alles in allem wohl ein rentables Geschäft, auch wenn die Lebensdauer eines Solarpanels mit etwa nur 20 Jahren relativ kurz ist. Es ist fraglich, wie sinnvoll Solartechnik in unserer Region mit vielen Wolken und wenig Sonne überhaupt ist. Und ob das Überhandnehmen dieser Anlagen in Stadt und Land schön ist, darüber lässt sich ebenfalls streiten.
Fotograf Telle hat sich mit der Serie „Zeitrauschen“ dazu eigene, durchaus nicht unkritische Gedanken gemacht. Beginnend am 29. Mai 2012 um 17.09 Uhr zeigt Telle wie rasant, in welch kurzer Zeit sich dieses historische Dach bis zum 3. Juli desselben Jahres um 10.57 Uhr in eine Hightec-Energiefläche verwandelt und sich fast nichts mehr (außer der Dachneigung und einer wohl zwingenden Biberschwanzziegeldeckung) von seiner ursprünglichen Anmutung erhalten hat. Irgendwie schade, denn die alten Dachlandschaften haben durchaus ihren Reiz und spiegeln den Charakter städtischer Quartiere wider. Urbane Kultur verändert sich. Was den Menschen, die dort leben, gut tut steht auf einem ganz anderen Blatt.
Durch seine zeitrafferartigen Aufnahmen wird uns die Geschwindigkeit unserer Gegenwart erst richtig bewusst. Zeitrauschen. Eh ein Phänomen, wie die Jahre dahingehen, das wissen wir alle recht gut.
In dieser dokumentarischen Serie arbeitet Telle mit einer feststehenden Kamera, einer sogenannten Drei- Schuss-Stillife-Kamera, die Einzelaufnahmen aus den drei Farben Rot, Grün und Blau addiert. In wenigen Sekunden Abstand geschehen also drei Aufnahmen hintereinander, die übereinandergelegt eine außergewöhnliche fotografische Technik zeigen.
Für Bernd Telle stellte sich neben den Überlegungen zur Urbanität und zu unserem Umgang mit Historie die Frage, wie sich Zeit mit einem unbeweglichen Medium darstellen lässt. Neben der subtilen Dokumentation erscheint auf den etwa 330 Bildern eine immanente Ästhetik der Fotografie. Ein an sich unbewegtes Motiv erhält eine interessante Dynamik. Alles, was sich verändert wird durch den RBG Filter gekennzeichnet.
Inhaltlich ist die Ästhetik dieser dichten Dokumentation mit einer aktuellen Thematik unterlegt: Stadtraum wird immer bedeutender, die Urbanisierung der gesamten Welt nimmt zu.
Wie wichtig ist uns der urbane Raum, wie wichtig nehmen wir uns darin und wie wichtig ist es den Stadtbewohnern, sich dazu auf welche Weise auch immer zu äußern? Vor diesem Hintergrund und auch den eingangs erwähnten Fakten zur Energiewende wird die Folge der Bilder, von denen Telle hier im Übrigen nur eine Auswahl von insgesamt 64 Stück zeigt, zu einer kritischen und feinsinnigen Anmutung dieser Veränderung und nicht zu einer journalistisch erzählerischen Story, die nur an der Oberfläche der eigentlichen Inhalte kratzt.
Schön zu sehen, wie in den ungewöhnlichen RGB-Sekunden-Aufnahmen Erscheinungen auftauchen, die nicht unbedingt sofort rein gegenständlich anmuten. Manchmal eher schemenhaft, oft auch deutlich erkennbar arbeiten die Dachdecker und Techniker sukzessive voran, enthäuten das Dach, entfernen die Schornsteine, verlatten neu, decken ein und installieren in luftiger Höhe die Solarpanele.
Selbst wenn diese Fotografie keine digitale Wurzel hat, scheinen die Bewegungsabläufe aus der virtuellen Welt zu stammen. Alles in allem eine qualitativ hochwertige Wiedergabe einer mittlerweile geläufigen Veränderung, die Balsam für unser schlechtes Gewissen ist.
Die Farben könnten auch malerische Elemente sein, die die Komposition steuern und jene harte Arbeit tänzerisch leicht scheinen lassen. Die Geschwindigkeit des „Zeitrauschens“ bleibt dadurch jedoch ungebrochen.
Als ein Memento hat Bernd Telle die Gaupe in diese Präsentation gestellt, nicht um uns didaktisch zu unterweisen, mehr um ein wenig melancholisch an die ehemalige Form und die zerronnene Anmutung des Gebäudes zu erinnern.
Ob wir nun diese Veränderungen in der Rasanz ihrer Durchführung befürworten, muss jeder für sich selbst beantworten. Sicher wird es den einen oder anderen geben, der diese neue Art der Dachlandschaft schön findet und für gut heißt. Auch das ist opportun, denn „nichts ist so beständig wie der Wandel“. Mit dem Zitat Heraklits möchte ich meine Worte beschließen und danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.